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Wenn der Gutachter mit der Fähre kommt

Sie fahren bis in die entlegensten Gegenden, kommen auch mit der Fähre und dem Fahrrad und lassen sich von Regenschauern nicht aufhalten: Was Gutachter alles auf sich nehmen, um die Pflegebegutachtung bei den Versicherten vor Ort durchzuführen, erzählt Christian Stolt, Pflegegutachter beim Medizinischen Dienst Mecklenburg-Vorpommern.

Herr Stolt, welche Tätigkeiten zählen zu Ihren Hauptaufgaben?

Ich arbeite im Geschäftsbereich Pflegeversicherung im Bereich der Einzelfallbegutachtung. Ich erstelle Gutachten, in denen ich einschätze, in wie weit und aus welchem Grund die antragstellende Person in ihrer Selbstständigkeit beeinträchtigt ist und welcher Pflegegrad durch diese Einschränkungen zu empfehlen ist.

Seit wann arbeiten Sie beim Medizinischen Dienst?

Ich arbeite seit über sieben Jahren beim Medizinischen Dienst.

Wie würden Sie Ihre Tätigkeit beschreiben?

Ich würde meinen Job als spannend, herausfordernd und menschennah beschreiben.

 

Er fährt bis in die entlegensten Gegenden, kommt auch mit der Fähre und dem Fahrrad und lässt sich von Wind und Wetter nicht aufhalten: Christian Stolt, Pflegegutachter beim Medizinischen Dienst Mecklenburg- Vorpommern, erzählt, was Gutachter alles auf sich nehmen, um die Pflegebegutachtung vor Ort durchzuführen.

Was macht Ihnen an Ihrer Tätigkeit besonders Freude?

Viel Freude bereitet es mir, dass ich durch mein Zutun in der Lage bin, hilfsbedürftige Menschen zu unterstützen und ihnen den „Einstieg“ in das umfangreiche Feld der Pflege zu erleichtern.

Beispielsweise habe ich mal eine Antragstellerin begutachtet, der infolge ihrer zunehmenden demenziellen Entwicklung eine Verwahrlosung drohte. Sie selbst war sich ihrer zunehmenden Einschränkungen nicht bewusst und auch die Angehörigen waren mit der Situation überfordert. Durch die Beratung der Angehörigen und die anschließende Rücksprache mit einem Pflegedienst konnte die Antragstellerin noch eine geraume Zeit sicher in ihrer eigenen Häuslichkeit verbringen und trotz ihrer Einschränkungen selbstbestimmt leben.

Ein anderes Beispiel ist eine völlig verzweifelte, noch berufstätige Antragstellerin, bei der eine sehr schwere und auf lange Sicht tödliche Krankheit festgestellt wurde. Ich konnte mit meiner Begutachtung und der einhergehenden Beratung bewirken, dass sie weniger Sorgen hatte, gefestigter war und ihr weiteres Leben erstmal mit einem klaren Plan verfolgen konnte. Einige Monate später dankte sie mir dafür in einem Brief.

Was war Ihr Beweggrund, zum Medizinischen Dienst zu gehen? In welchem Bereich haben Sie zuvor gearbeitet?

Ich habe vorher zehn Jahre in einem Pflegedienst unter anderem im Bereich der Palliativpflege und später als Pflegedienstleiter gearbeitet. Da ich in meinem Berufsleben nie gerne „stehen geblieben“ bin, habe ich beim Medizinischen Dienst die Möglichkeit gesehen, mein Wissen und meine Fähigkeiten zu erweitern.

Wie erleben Sie den Kontakt mit den Versicherten?

Ich würde mich selbst als freundlichen und offenen Menschen bezeichnen und diese Art spiegelt sich sehr häufig bei meinen Begutachtungen. Überwiegend herrscht, nach anfänglicher Skepsis, eine vertrauensvolle und offene Basis mit den antragstellenden Personen. Natürlich gibt es aber auch negative Erfahrungen, in denen ich den antragstellenden Personen nicht in dem gewünschten Maße helfen bzw. ihre Erwartungen nicht erfüllen konnte. Auch gibt es Situationen, in denen man später (meistens in Widerspruchsschreiben) verunglimpft oder auch beleidigt wird. Aber auch in diesen Situationen ist es mir wichtig, mir sicher sein zu können, dass ich mein Möglichstes getan habe.

Erinnern Sie sich an eine Begutachtung, die besonders „abgelegen“ und schwierig zu erreichen war? Falls ja, erzählen Sie gerne, wie Sie dies gemeistert haben.

Ich bin teilweise als Gutachter auf der Insel Hiddensee eingeteilt, welche von der Insel Rügen ausschließlich über eine 45-minütige Fährfahrt erreichbar ist. Die Insel erstreckt sich über eine Länge von circa 17 Kilometern, hat auf dieser Länge drei Dörfer und darf ausschließlich mit dem Fahrrad befahren werden. In einem sehr kalten Wintermonat hatte ich „das Vergnügen“ erst eine Begutachtung im oberen Dorf der Insel und anschließend im untersten Teil der Insel durchzuführen. Bereits auf meinem Weg in das obere Dorf (man kommt mit der Fähre meist in der Mitte der Insel an) hat es ziemlich stark geregnet. Ich hatte mir natürlich den Wetterbericht angeguckt und mich dementsprechend gekleidet. Bereits im Haus der ersten Begutachtung war draußen ein ausgeprägter Sturm mit starkem Regen erkennbar. Ich machte mich natürlich trotzdem auf den Weg in das unterste Dorf und noch nicht mal auf der Hälfte des Weges war meine Hose bei starken Windböen, eisiger Kälte und weiterhin starkem Regen vollständig durchnässt. Nach einer circa 40 Minuten Fahrradfahrt bin ich letztendlich bei dem Antragsteller angekommen. Das schöne war, dass mich die Ehefrau des Antragstellers sofort nach dem Öffnen der Tür fragte, warum ich denn bei diesem Wetter gefahren sei und mich für verrückt erklärte. Anschließend fragte sie mich mehrfach, ob ich nicht meine Hose ausziehen wolle, damit sie diese schnell in den Trockner stecken könne. Sie würde mir für den Zeitraum der Begutachtung auch eine Jogginghose des Ehemannes leihen. Ich lehnte nach kurzer Überlegung dankend ab, nahm den angebotenen Tee gerne an und führte die Begutachtung trotz der triefend nassen Hose auf einem Handtuch sitzend durch. Das werde ich wohl nie vergessen.

Welche Wünsche haben Sie für den Medizinischen Dienst der Zukunft bzw. Ihren Arbeitsbereich ganz konkret?

Der einzige Wunsch den ich für die Zukunft habe ist, dass alles so bleibt wie es ist. Wir sind ein tolles Team und mir macht die Arbeit viel Spaß. Da wir uns als Medizinischer Dienst aber natürlich auch wie der gesamte Pflegebereich den immer umfangreicher werdenden Gegebenheiten anpassen müssen, wird dies schwer zu realisieren sein.

Herr Stolt, vielen Dank für das Gespräch